3. Tagebucheintrag - Weg der Sonne
‚Nur noch ein viertel Stündchen‘ dachte ich im Halbschlaf, mein Mobiglas vibrierte am Handgelenk. Die Sonne schien durch die nun bläulich getönten Scheiben und eine dezente sphärische Musik erklang im Hintergrund. Es war Montag der 05.06. 2930, erinnerte ich mich und es gab nichts zu tun – keine Schule, keine Verpflichtungen, nichts. Das Mobiglas zeigte 5:31 Uhr, ich hatte vergessen den Wecker abzustellen. Aber nun fühlte ich mich wach und erholt. Ich machte mich fertig und öffnete die breite Glasfront meines Zimmers, die würzige Morgenluft strömte herein und ich schritt die 150 Meter zu unserem Bootssteg, setzte mich auf einen der hölzernen Poller und lauschte in die Stille. ‚Jetzt beginnt also das Leben‘ stieg als Gedanke in mir auf. Aber was mochte das sein – das Leben? Mir fiel auf einmal auf, wie wenig ich auf diesen Tag vorbereitet war. Als Kind wollte ich wie fast alle Kinder zur Raumflotte, fremde Systeme bereisen und viele Abenteuer erleben. Nun stelle ich mir die Frage, was ich wirklich machen wolle, was es war, wofür ich mich wirklich begeistern könnte? In die Politik gehen? Unsere Familie war angesehen und nach meinem Studium hätte ich mit unseren Verbindungen eine gute Chance in einem der Subcommittees als Berater unterzukommen. Mein Großvater mütterlicherseits und der jetzige Imperator Mikkel Sheriden besuchten dasselbe Internat und kannten sich aus Kindheitstagen. Vielleicht ließe sich da etwas machen.
Es gibt vier subcommittees und ich stelle gerade fest, dass mich weder das Subcommittee for Internal Appraisal, noch das on Commerce & Trade, noch das on Expansion and Development, noch das on the Interior sonderlich interessiere. Ich schaute auf die Stellen glitzernden Wassers, wo kleine Windböen die Oberfläche des Sees kräuselte und beschloss in diesem Moment ‚meine Zukunft kann warten‘. Ich habe keine Eile und es wird sich schon irgendetwas ergeben.
„Ultime! Ultime!“ tönte die helle Stimme meiner kleinen Schwester Claire hinter mir! Atemlos erreichte sie den Steg: Ah da bist du! Wir suchen dich schon die ganze Zeit!“
„Ist etwas passiert?“ „Nein, aber es gibt Frühstück und Papa und ich fahren heute zum Stall. Isis bekommt heute vielleicht ihr Fohlen. Dr. Wigram ist bereits dort und ich darf mir einen Namen für das Fohlen ausdenken!“
„Denk dir am besten gleich zwei aus, denn wir wissen ja noch nicht was es wird!“ entgegnete ich.
„Oh, doch, wir wissen es bereits!“, gab Clair triumphierend zur Antwort. „Und Dr. Wigram sagt es wird ein Mädchen und ich werde sie Solveigh nennen!“
„Du willst ein Pferd, dass über den Himmel reiten kann?“
Sie blieb stehen, drehte sich zu mir um und schaute mich verständnislos an. „Das verstehe ich nicht. Wie kommst Du darauf?“
„Namen sind nicht nur Namen, sie haben Bedeutung und Solveigh bedeutet Weg der Sonne!
„Oh, das ist toll, ich werde auf dem Weg der Sonne reiten!“ rief Claire laut und tobte Richtung Haus davon.
‚Das wünsche ich Dir von ganzem Herzen!‘ dachte ich, als ich ihr nachschaute.