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Zitat"Von Job zu Job, von Rennen zu Rennen."
Die Luft in meinem Zimmer war abgestanden, geschwängert von dem Staub der sich absetzte, wenn Sauberkeit etwas von Luxus hatte. Ich hatte mich auf die Bettkante gesetzt und spielte mit einer kleinen Münze, die ich zwischen meinen Fingern hin und her gleiten ließ. Das Metall langsam erwärmt von meinem Körper, das einzig warme Gefühl in der Kälte dieses Ortes.
Meine Tasche war bereits gepackt. Ein bisschen Kleidung, etwas zum Lesen, Erinnerungsstücke, ein paar Dinge, die es wert schienen mitgenommen zu werden. Ich redete mir ein, dass ich nicht viel zurücklassen würde. Was ein Bullshit. Es war nur mein bisher bekanntes Leben, dass ich auf einen Schlag hinter mir lassen würde. Aber es war nicht das Gute und Glückliche was mir Sorgen machte, sondern all der Schmerz, die Schwierigkeiten und dummen Entscheidungen, die ich hier erlebt hatte. Von einem auf den anderen Moment wären sie vollkommen konsequenzlos, wo ich hin gehen würde, wäre ich ein Unbekannter, jemand neues. Hatte mich noch nicht entschieden wer das sein würde. Doch egal wo es war, dort wären die Wände sicher aus demselben rissigen Beton. Das Terminal in der Ecke wäre ebenso kaum funktionsfähig. Und an den Geruch - diese Mischung aus Motorenfett und recycelter Luft - war ich sowieso bereits gewöhnt. Mein Zuhause, aber irgendwie auch nur ein Gefängnis gewesen, also konnte es kaum schlimmer kommen.
Ich hatte mein ganzes Leben auf Levski verbracht und gedacht, dass ich zu meinen eigenen Bedingungen abhauen würde. Dass ich, wenn die Zeit gekommen war, an einen besseren Ort gehen würde, an einen Ort meiner Wahl. Stattdessen ging ich, weil mir die Möglichkeiten ausgingen. Dafür hatten die Viz gesorgt. Ich war nicht dumm. Sie hatten die Schulden meines Vaters nicht aus reiner Menschlichkeit übernommen. Das war keine zweite Chance. Es war ein Tausch. Ihre Credits, meine Zeit. Mindestens einige Jahre war ich an sie gebunden. So beschissen das klang wenn ich ehrlich zu mir selbst war, war das wahrscheinlich ein besserer Deal als alles, was ich allein auf die Beine gestellt hätte.
Die Tür öffnete sich knarrend hinter mir, schwere Stiefel knallten auf dem metallischen Boden. Ich drehte mich nicht um, bewegte mich nicht.
„Bist du fertig oder was?“
Harlan. Einer von der Viz-Crew, der mich seit dem Abschluss des Deals im Auge behalten hatte. Er war nicht grausam, aber Nächstenliebe sah einfach anders aus. Er war nur ein weiterer Teil der Maschine, in die ich gleich einsteigen würde. Ich schnippte die Münze in die Luft, fing sie auf und steckte sie in meine Tasche. Ich stand auf und griff nach meiner gepackten Tasche. Einen letzten Blick ließ ich durch das bisschen Elend was ich mein Zuhause nannte, fahren. Meine Mutter und Schwester waren zu allem Glück nicht Zuhause. Es machte die Sache einfacher.
„Ja“, sagte ich und warf mir den Gurt über die Schulter.
Ich schritt an Harlan vorbei in den schummrigen Korridor. Das Brummen der Station erfüllte die Stille. Der Raumhafen wartete. Die Viz warteten.
Und was auch immer als Nächstes kam... ich würde es auf dem Weg herausfinden.
Mit einem Klicken, entzündete sich die Flamme, die ich langsam an das Ende meines Stim-Stängels hielt, der Platz in meinem Mund gefunden hatte. Zischend, entzündete sich das Stim-Gemisch und der beruhigede Rauch füllte meine Lungen. Ich sog die Dosis tief ein, legte den Kopf in den Nacken und atmete aus. Der Qualm verließ meine gepressten Lippen und prallte gegen die großen Fenster des Oberservations-Deck, die einen Blick auf den Jump Point nach Pyro freilegten. In der Ferne windete sich der Riss in der Realität wie ein langsames, brodelndes Ding. Es sah nicht aus wie die Ordnung und das Strahlen, die man aus Stanton gewöhnt war. Dieses Tor in eine andere Welt war rau, wie eine Narbe im Gewebe des Raums, die nie wirklich heilte. Ein Dorn im Stanton-System. Es pulsierte und bog das Licht auf unnatürliche Weise, als ob das Universum vergessen hatte, sich an die Regeln zu halten.
Während ich an meinem Glimmstimmel zog, eine Hand in meiner Hosentasche, und hoffte den Sinn des Lebens zu finden, beobachtete ich die zahlreichen Schiffe, die in der Tiefe verschwanden. Einige von ihnen waren schwer beladene Transporter, die noch versuchten im letzten Moment aus dem Pyro-System zu entkommen. Schneller bevor die Dinge in Pyro schlimmer wurden. Glücksrittern, denen die Situation zu heiß geworden war. Andere waren kleine und wendige Jäger. Manchmal alleine, manchmal in einer Staffel, sie hatten nicht vor lange zu bleiben. Und dann waren da noch die Verzweifelten - die ramponierten Cutlasses und die zusammengeflickt wirkenden Freelancer, deren Besatzung keine andere Wahl hatte, als das Risiko einzugehen, weil es in Stanton sowieso nichts mehr gab wofür es sich zu bleiben lohnte.
Ich nahm einen tiefen Zug und ließ den Qualm über meine Mundwinkel hinausgleiten. In letzter Zeit, lebte ich von Tag zu Tag, von Job zu Job, von Rennen zu Rennen. Die Rastlosigkeit trieb mich durch die Planetensysteme und den Stationen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und verengte die Augen. Alles schien sich auf diesen Punkt zu zu bewegen und egal wie sehr ich mich sträubte, Pyro zog mich an. Es gab nichts was mich in Stanton zu halten schien, viel mehr gab es immer mehr Gründe nicht mehr hier zu bleiben und erneut in die Anonymität einzutauchen.
Jahrelang war ich umhergezogen, weil ich es musste. Jobs, Schulden, eine Fehlentscheidung jagte die nächste. Aber jetzt? Das hier fühlte sich anders an. Diesmal schaute ich nicht über meine Schulter. Ich versuchte auch nicht, mir etwas aufzubauen. Die Agentur, die Jobs, die Beziehungen - sie hatten nie wirklich gehalten. Vielleicht, weil ich das nie wollte. Jetzt gab es nur noch mich, das Schiff und was auch immer mich in Bewegung halten konnte. Denn in dem Moment, in dem ich stehen blieb, in dem Moment, in dem ich etwas zur Ruhe kam, würde ich wieder anfangen zu viel nachzudenken. Und damit hatte ich mir bisher noch nie einen Gefallen getan.
„Faszinierend. Nicht wahr?“
Ohne dass ich es gemerkt hatte, hatte sich jemand neben mich gestellt und mich aus meinen Gedanken gerissen. Ich ließ vom Sprungpunkt ab, verlagerte mein Gewicht auf den rechten Fuß und ließ den Blick zu dem Herren schweifen, der sich neben mich gestellt hatte. Mein Glimmstängel glühte und qualmte in meinem Mund. Für einen Moment fokussierte ich den Herren, mein Blick musterte seine Haltung, seine Kleidung seine Attitüde, schlussendlich nahm ich die Zigarette aus dem Mund in meine rechte Hand. Ich ließ mit meinen Augen von ihm ab und betrachtete wieder den Sprungpunkt.
"Ein Tor in eine andere Welt", kommentierte ich die Frage.
"Das erste Mal?", fragte er herausfordernd mit einer gewissen Form von Amusement.
"Meinst, Pyro?"
"Den Sprung durch das Tor"
"Nein"
"Aber Pyro.", hakte er nach.
"Korrekt", bestätigte ich.
"Ich werde heute nach Pyro springen. Gerald mein Name, ich bin von der Rust Society und liefere Waren nach Pyro", erklärte er sich ungefragt. Mir hätte es nicht mehr egal sein können wer der Typ war.
"Xine, ich überlegs mir noch und schau mal was auf mich zukommt. Für wen lieferst du?", ließ ich eine gewisse Neugier durchblicken um zumindest das Gespräch nicht in seltsamer Stille zu verbringen.
"Citizens of Prosperity, aber die Dinge sind mittlerweile etwas...komplexer", antwortete er und erläuterte mir wie die Dinge in Pyro gerade standen. Zuerst wollte ich ihn unterbrechen, aber als er anfing mir zu erzählen was gerade dort abging, hatte er meine komplette Aufmerksamkeit. Gerald wirkte wie ein feiner Kerl, aber das er in Pyro unterwegs war machte ihn entweder ziemlich leichtsinnig oder hinter der freundlichen Fassade war ein Kerl, den man besser nicht dumm kommen wollte. Ich nickte abschließend.
"Klingt tatsächlich etwas...komplex", quittierte ich die Ausführungen mit einem Zug meiner Stims.
"Wenn du mal in der Nähe bist kannst du auf Monox vorbeischauen", bot er an, ich nickte. Das Gespräch verlief im Nachhinein eher seicht, was daran lag, dass ich gar keinen Wunsch hatte es zu führen. Zwischen stummen "Mhm"s und "Aha", hatte Gerald irgendwann resigniert und zischte ab. Ich legte meinen Blick wieder auf das bläuliche Loch im Raum und Zeit. Mich hätte die Geschichte abschrecken sollen, aber in mir kämpften Verstand und Körper gegeneinander. Es war ein dumme Idee aber bevor ich wirklich einen Entschluss fassen konnte, fühlte ich wie mich der Sprungpunkt förmlich in die endlose Tiefe hineinzog.
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